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Jochen Schumacher: Einer, wie keiner

Nach über 45 Jahren als Reitlehrer und Ausbilder im FS Reit-Zentrum Reken, ging Jochen am 1. Juli 2024 als Rentner in seinen neuen und wohlverdienten Unruhestand.

Deine Erfolge beim Distanzreiten, selbst die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Rom, lieber Jochen, mögen Deine persönlichen reiterlichen Highlights gewesen sein – aber Dein Lebenswerk, der jahrzehntelange Unterricht an der Basis, ist als Wert gar nicht zu beziffern! Ganz abgesehen davon, dass ohne Deine Präsenz im Zentrum das Rekener Konzept längst Geschichte wäre.

Jochen Schumacher ist unangefochten der Basis-Reitlehrer mit der größten praktischen Erfahrung in moderner Reitpädagogik. Keiner brachte mehr Erwachsene ans Pferd, keiner verhalf kompletten Reitanfängern von Anfang an zu mehr Erfolgserlebnissen im Sattel - in Kombination natürlich mit einem tiergerechten Handling auch am Boden, Verständnis über artgerechte Haltung und ihre Notwendigkeit, Wissen über Psychologie und Physiologie des Pferdes, Ausrüstung etc. pp. Eben all das Wissen und Können, das zu einem pferdefreundlichen Umgang mit unserem geliebten vierbeinigen Partner gehört.

Das für einen solch komprimierten Unterricht benötigte know how wird fast immer gewaltig unterschätzt. Musterbeispiel: Der ursprüngliche 11-Tage-Grundkurs, inzwischen reduziert auf 7 Tage. In sieben Tagen Erwachsene jeden Alters, die zuvor noch nie auf einem Pferd gesessen haben, mit mehr oder weniger gut ausgeprägter Motorik soweit zu schulen, dass sie imstande sind, am letzten Tag angstfrei an einem geführten Ausritt teilzunehmen. Diese Leistung will erst einmal getoppt werden.

Was mit einem Grundkurs funktioniert, passt auch für andere Ausbildungslinien. Wie bei Linda Tellington-Jones, die bereits 1972/73 nach Reken kam. Wir übernahmen Elemente ihrer Ausbildung und Bodenarbeit, sie dagegen Teile unserer Didaktik. Erst aus dieser Symbiose entstand die Team-Arbeit nach Linda Tellington-Jones. Oder Rolf Becher: Als er mit einer Überfülle an Ideen zu uns kam, gab es keine Chiron-Methode, die entstand in Reken. Immer dabei, unser frisch gebackener Ruheständler. Jochen war der erste qualifizierte Chiron-Springtrainer nach Rolf Becher und selbstverständlich einer der ersten LTJ TTEAM-Practitioner. Aber das nur vorneweg.

Denn für Klein-Jochen aus Reken begann die Geschichte sehr viel früher, als er nach einem Umweg über Lothar Schenzel (heute Kronshof) im alten Zentrum landete, seinerzeit ein Privatstall, und schon damals nicht von den Pferden wegzubringen war. Als obendrein Ursula Bruns mit ihren Isländern und Gangpferden auf den Plan trat, Jochens Grundausbildung übernahm und ihn immer stärker in die Belange ihrer winzigen privaten Reitschule einband, war sein weiterer Lebensweg fast vorprogrammiert.

Es war auch die Geburtsstunde des Reitzentrums, das zu Beginn freilich noch FS Testzentrum Reken hieß. „FS“ durch die enge Verbindung zur „Freizeit im Sattel“, in der die UB ihre in Reken gewonnenen Erkenntnisse veröffentliche, und „Testzentrum“, weil alles und jedes in Frage gestellt, auf Herz und Nieren geprüft und bis zur Praxisreife erprobt wurde.

In dieser Zeit überbordender Kreativität verschmolzen an sich getrennte Bereiche zu einer Einheit. Hier wurde Geschichte geschrieben: Sowohl in artgerechter Haltung und Anlagenbau wie in der Basisausbildung von Reiter und Pferd. Mit diesem Gedankengut wuchs Jochen nicht nur auf, er war an jeder einzelnen Phase beteiligt, hat mitdiskutiert, getüftelt, in die Praxis umgesetzt und immer wieder verbessert. Eine Fachkompetenz, die in dieser Tiefe und Vielfalt ihresgleichen sucht. Die Graf Landsberg Medaille, mit der die Deutsche Reiterliche Vereinigung Jochen Schumacher für seine Verdienste rund ums Pferd ausgezeichnet hat, ist ebenso verdient wie seine VFD-Ehrenmitgliedschaft. Um Jochens Lebenswerk jedoch wirklich zu verstehen, braucht es eine kleine Zeitreise.

Artgerechte Pferdehaltung und Reitanlage

„Reken – die pferdefreundliche Reitschule“, lautete bereits einer unserer frühesten Slogans. Im Zentrum wurden verschiedene Offenställe auf ihre Funktionalität getestet, Fütterungsmethoden und -systeme, Paddockgestaltung, Einzäunungen, Raufen, Tränken, Windschutz, Bodenbeläge ausprobiert – es wäre seitenfüllend, wollte man die Aufzählung fortsetzen. In den 70er Jahren war artgerechte Auslaufhaltung für Pferde nur rudimentär vorhanden, quasi nicht existent. Wir waren zwar nicht die einzigen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzten, aber der erste, auf einer Equitana öffentlich präsentierte Offenstall kam aus Reken. Überhaupt lassen sich viele gängige Praktika auf ihren Ursprung im Zentrum zurückführen. Das wird heute gerne vergessen. Dafür gibt es inzwischen tolle Ställe, was definitiv wichtiger ist. Den Pferden zuliebe.

Ähnlich sah es bei der Gestaltung der Reitanlage aus: Grün sollte sie sein, schön sollte sie sein und abwechslungsreich, damit das tägliche Training Spaß machte. Statt einer geschlossenen Halle gab es im Zentrum ein offenes Rekener Dach, das bei Bedarf an der Wetterseite mit Windschutznetzen verkleidet werden konnte. Seinerzeit eine Novität. Oder das „Rekener Schulungsoval“, eine kleine, doppelt eingezäunte Ovalbahn, die sich bei Reitanfängern als perfekte Vorbereitung für jeden nachfolgenden Unterricht bewährt hat.

Wir hatten in allen Bereichen eine großartige Unterstützung, beispielsweise durch Dr. Hilda Potthoff, vom BML, Prof. Dr. Ulrich Schnitzer oder Georg Fink, um nur wenige zu nennen. Dabei lag der Fokus nie auf Großanlagen, sondern bei privaten Pferdehaltern und kleineren Betrieben, die mit Geld nicht einfach um sich werfen konnten. Sicher kein Vergleich mit heutigen modernen, technisch bis zum Maximum ausgereizten Superställen, aber für die damalige Zeit war Reken die Traumanlage schlechthin, mit Vorbildfunktion für Reiter und Pferd.

Basisausbildung von Reiter und Pferd

Herzstück der reiterlichen Ausbildung ist die Bruns-Behr-Methode, das erste didaktische Schulungskonzept, das den Bedürfnissen erwachsener Reitanfänger Rechnung trug. Denn während Kinder selbst komplizierte Bewegungsabläufe nur durch Nachahmung auf Anhieb lernen, greifen Erwachsene unbewusst auf bis zur Pubertät gelegte Bewegungsmuster zurück.

Die BB-Methode entstand Anfang bis Mitte der 70er Jahre aus der Zusammenarbeit von Ursula Bruns und Prof. Dr. Inge Behr, damals noch Dozentin an der Hochschule Hannover für Erwachsenenbildung und in die Entwicklung von Schemata zum Lernen involviert. „Dass ich nicht reiten kann“, brachte Inge Behr seinerzeit der UB bei, „hat damit nichts zu tun. Auf dem Pferd mit dem Lernen anzufangen bringt deswegen nichts, weil man ja in eine ganz andere Form von Bewegung reinkommt und mit etwas zu tun hat, was sich selbständig bewegt. Da kann ich doch gar nicht nachdenken – anders geht es schneller“.

„Anders“ bedeutete in diesem Kontext das Aufdröseln selbst kleinster Lektionen in noch winzigere Bausteine, die niemanden überforderten und Zeit zum Begreifen und Üben ließen: Theoretische Vorbereitung-Üben-Nachbesprechung. Für jeden einzelnen Lernschritt, mit jedem einzelnen Schüler, später erweitert durch Videokontrolle. Eine Abfolge, die sich in allen Kursen als unglaublich effizient erwies.

Für diese Form des Unterrichts wurden allerdings neue Lehrmittel gebraucht, die es bis dato nicht gab. So entstanden Tritt- und Sitzbalken, Rollenspiele zur Zügelführung und natürlich das Holzpferd. Früher süffisant belächelt, ist unser Hektor längst etabliert und zählt heute fast zur Standardausrüstung in Reitschulen. Uuuups, war da was? Ja, da war etwas – erst recht, als der Schulbetrieb nach der BB-Methode 1979 Fahrt aufnahm und regulär Kurse angeboten wurden.

Ohne das Ansehen von Ursula Bruns schmälern zu wollen: Sie war eine kreative Naturgewalt – aber für die tägliche Arbeit an der Front nicht wirklich prädestiniert. Die ersten zertifizierten Reken-Lehrer waren Jochen Schumacher und Margret Schmidt. Die beiden sorgten für eine gleichbleibend hohe Qualität der Kurse, wobei Jochen auch für die Ausbildung der Ausbilder zuständig war und auf einen reibungslosen Ablauf im Betrieb achtete, zusammen mit dem Büroteam und etlichen Mitstreitern im Hintergrund. Viele tolle Reken-Lehrer kamen und gingen; der Einzige, der von Anfang an dabei war und blieb, ist Jochen Schumacher: Als Ausbilder, Juniorpartner und Inhaber, bis er die Schule an Theresa Loerchner übergab.

Messen, Festivals und Seminare

Dabei kam dem Zentrum über die Jahre nicht nur Jochens Unterrichtserfahrung zugute, sondern auch sein beträchtliches Organisationstalent. Ob Messe, Freizeitreiter-Festival oder Jahresseminar, er war für Planung und Durchführung zuständig, und was er anpackte, klappte – soweit es sich im Vorfeld nur ansatzweise erahnen ließ. Seit Rekens erster Teilnahme in Essen war Wolf Kröber, „Mister Equitana“, ein hoch geschätzter Freund, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hat. Weitere Messen folgten und machten das Konzept nicht nur einem breiten Publikum bekannt, sie brachten uns auch in Kontakt mit renommierten Ausbildern aus aller Welt.

Kaum eine Reit- oder Fahrweise, die auf unseren Freizeitreiter-Festivals nicht vertreten war: Freiheitsdressur, Westernreiten, Gangpferdereiten, Springen, Dressurreiten und klassische Hohe Schule, Fahren in sämtlichen Anspannungen etc. pp. In den Schaubildern wurde nicht nur so ziemlich jede in Deutschland beheimatete Pferderassen vorgestellt, es tummelten sich auch Esel, Mulis und Trampeltiere im Spielepark.

Wir hatten die Ehre, als Gastlehrer und Referenten teils weltberühmte Reiter und Hippologen begrüßen zu dürfen: Pat Parelli und Jean-Claude Dysli aus den Anfängen des Westernreitens in Deutschland, Richard Hinrichs – langjähriger Freund und immer gern gesehener Gast, Fredy Knie Senior vom Schweizer Nationalzirkus – eine seltene Ehre, Klaus Balkenhol und Claus Penquitt, Walter Feldmann, Uta Gräf, oder Philippe Karl.

Es ist unmöglich, hier jeden einzelnen aufzuführen, so verdient es wäre. Vielleicht ist es an der Zeit, eine „Wall of Fame“ zu installieren, um allen gerecht zu werden und ihre Mitwirkung zu dokumentieren, ehe es in Vergessenheit gerät. Denn sie alle repräsentierten Reken in unserem Sinne: Als neutrale Begegnungsstätte, offen für jede qualifizierte Ausbildung, Reit- oder Fahrweise, sofern sie nur pferdefreundlich ist und den individuellen Fähigkeiten des Tieres entspricht.

Back to the roots

45 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, mit allen Höhen und Tiefen. Denn da war ja nicht nur das Zentrum, lieber Jochen: Du bist Ausbilder, Trainer und Richter bei verschiedenen Verbänden, besitzt das Silberne Fahrabzeichen und hast Dich bei den besten Reitmeistern fortgebildet. Wobei dieser Lernprozess ja immer noch nicht abgeschlossen ist.

Und jetzt stehst Du vor einem neuen Lebensabschnitt.

„Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben, aber es hat nur genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind.“ Nach diesem Zitat von Hermann Hesse, hast Du alles richtig gemacht. Danke für Deinen Einsatz. Danke, dass Du uns als Gastlehrer erhalten bleibst und wir weiterhin auf Deine Erfahrung zurückgreifen dürfen. In diesem Sinne, Danke für Deine Freundschaft und weiterhin viele glückliche, gesunde und erfüllte Jahre.

So ganz ohne die Pferde kann er doch nicht. Reitunterricht oder mehrtägige Reitkurse bietet Jochen nach Absprache auch weiterhin vor Ort an, also nicht nur im Zentrum. Schaut mal auf seine Internetseite: www.jochen-schumacher.de

Vita Jochen Schumacher

Grundausbildung in Reken durch Ursula Bruns nach der BB-Methode
Erfolgreicher Reiter bei 160km-Distanzritten
IGV und DOSB Ausbilderzertifikat
IGV Turnierrichter
IPZV Trainer B
LTJ -T.T.EAM Practitioner III
Ausbildung in klassischer Dressur bei Louis Valenca in Portugal
Chiron-Springlehrer nach Rolf Becher
Silbernes Fahrabzeichen 4-Spänner Fahren 
Ehrenmitglied der VFD (Vereinigung der Freizeitreiter Deutschland)
Ehrung von der FN (Reiterliche Vereinigung) mit der Graf Landsberg Medaille für besondere Verdienste rund ums Pferd

Text: Monika Krämer / freie Journalistin / Ibiza
 

 

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